Widmung an Reinhard Hippen

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Sein Vermächtnis bleibt bestehen: das Deutsche Kabarett-Archiv in Mainz

Reinhard Hippen - Foto © Carlo W.
Reinhard Hippen – Foto © Ritter von Lehenstein

IN EWIGER FREUNDSCHAFT

Nachtruf – von Beate Moeller ”IHM IST DIESES PORTAL GEWIDMET”

Er konnte wirklich jede Frage in Sachen Kabarett beantworten. Und er hat es gern getan, leidenschaftlich gern. Denn das Kabarett war sein Leben. Seine selbst gestellte Aufgabe. Seine Passion. Aus ganz Deutschland sind Autoren, Journalisten und Künstler zu ihm nach Mainz gereist, wenn ein Projekt anstand, zu dem noch Informationen oder Hintergründe fehlten. Egal, was man brauchte, von ihm bekam man es: Zeitungsausschnitte, Programmhefte, Songtexte und Noten – ja sogar persönliche Aufzeichnungen von berühmten Künstlern.

Aber er war viel mehr als bloß der Archivar des deutschsprachigen Kabaretts. Das Beste waren die Geschichten, die er erzählen konnte. Wenn er erst einmal angefangen hatte, in seinem Gedächtnis rumzukramen, beförderte er die komischsten Anekdoten zu Tage. Scheinbar Nebensächliches, Macken und Marotten, viele persönliche Erlebnisse, eben all diese Details, die neben den Zahlen, Daten und Fakten, so wichtig sind, will man sich einem Künstler oder einer Epoche annähern. Die eine Reinhard Hippen BuchlisteVorstellung erst möglich machen. All das, was man eben in keinem Buch nachlesen kann, und was auch keine Suchmaschine aus dem Internet filtert.

Der Kleinkram, den die Geschichtsschreibung ignoriert. Die Früchte seines Lebens. Denn er hatte jede Vorstellung gesehen, die er sehen konnte, und er hat alle Künstler aus dem Genre Kabarett, Kleinkunst und Chanson gekannt. Mit den meisten war er befreundet.

Nur ein Beispiel zur Einschätzung der Größenordnung: Als Marlene Dietrich in ihren letzten Jahren zurückgezogen in Paris lebte und fast niemanden mehr sehen wollte, war er einer der wenigen Menschen, die sie zu sich eingeladen hat und der sie noch besuchen durfte. Dennoch hat er nie alles ausgeplaudert. Da waren belustigte Züge um seinen Mund, die verrieten, dass er noch was für sich behält. Seine Geheimnisse.

Reinhard Hippen hatte blaue Augen, Sommersprossen und rote Haare. Auf die war er besonders stolz. Denn er war überzeugt davon, dass Rothaarige im Alter nicht grau werden. Reinhard Hippen war Ostfriese.

Mitten im Zweiten Weltkrieg wurde er 1942 in Leer geboren. Schon als 14-jähriger interessierte er sich für‘s Kabarett, zwei Jahre später fing er an Material zu sammeln. Als es ihm in Leer zu eng wurde, machte sich Hippen nach Paris auf, zusammen mit seinem Schulfreund Peter Ehlebracht und Karl Dall, die beide später Mitglieder der schrägen Komikerband Insterburg & Co wurden. Dieses Abenteuer zu dritt in Paris war ein prägendes Erlebnis für Reinhard Hippen, der damit die Tour nach Paris wiederholte, die Ernst von Wolzogen einst unternommen hatte und der vom Pariser Cabaret so begeistert war, dass er 1901 in Berlin das erste Kabarett-Theater, das Überbrettl, eröffnete.

Hippen bewunderte Hanns Dieter Hüsch und dessen poetischen Sprachwitz. Deshalb zog er 1961 nach Mainz, denn dort lebte Hüsch. In dieser Stadt blieb Hippen sein Leben lang. Er studierte Grafikdesign und sammelte alles, was ihm in die Finger kam.

Als Werner Finck in Mainz gastierte, zeigte Hippen ihm seine Sammlung, die schon einen beachtlichen Umfang angenommen hatte. Der große Kabarettist war dermaßen beeindruckt, dass er dem damals 19-jährigen Reinhard Hippen auf der Stelle versprach, ihm all sein Material zur Verfügung zu stellen und sein Projekt auch finanziell zu unterstützen. Gemeinsam kamen sie auf die Idee, das Hobby zu professionalisieren. Damit war der Grundstein gelegt für das deutsche Kabarettarchiv, das längst eine Institution geworden ist und schon sein 50-jähriges Jubiläum feiern konnte.

Im Laufe der Jahre haben etliche Künstler ihre Nachlässe Reinhard Hippen anvertraut. Und er hat damit nicht nur sein Archiv vervollständigt, sondern diese Schätze auch immer wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht – in Form von Büchern, Radio- und Fernsehsendungen. Er beherrschte die Kunst, aus der Fülle des Materials thematische Dokumentationen zusammenzustellen, die im gesamten deutschsprachigen Raum als Wanderausstellungen gezeigt wurden.

Reinhard Hippen war eine zentrale Figur der Kabarettszene, selbst wenn er selten an vorderster Front agierte. Er war ein leiser Mensch und wirkte eher im Hintergrund, aber bei ihm liefen die Kontakte zusammen. Während er als Grafiker arbeitete, hat er etliche Veranstaltungsreihen mit geprägt. In den sechziger Jahren das Internationale Festival auf der Burg Waldeck, die Essener Kabarett-Tage und die Essener Song-Tage. Das Mainzer Jugendkulturfestival Open Ohr, das er 1975 mit initiiert hat und das seitdem alljährlich zu Pfingsten statt findet, verdankt ihm sogar seinen Namen. Bei der Arbeit am Plakat für das als Open Air geplante Festival war er gerade dabei, ein Ohr auszuschneiden, als ihm der Gedanke kam, dass für ein politisches Festival mit Kabarett und Musik, Lesungen und Podiumsdiskussionen der Titel ‚Open Ohr‘ sich doch viel besser eignet.

Feinsinnig und präzise war Hippen, akribisch – auch im Umgang mit der Sprache. Der Jury zum Deutschen Kleinkunstpreis gehörte er seit der Gründung im Jahr 1972 an. Neben seinem stilsicheren ästhetischen Urteil war es seine Stärke, die Formulierungen der Begründungen für die Wahl der Preisträger so lange zu feilen, bis jedes Wort saß und die Leistungen der Künstler zutreffend beschrieben waren. Die Preisverleihung im Februar des Jahres 2010 im Mainzer unterhaus, dem er immer eng verbunden war, hat er noch miterlebt, allerdings schon deutlich von der Krankheit gezeichnet.

Einer von Hippens wenigen Sprüchen über sich selbst war: ”Rothaarige werden nicht alt.” Das fand er beruhigend. Denn die Vorstellung, krank und unter Ausschluß der Öffentlichkeit auf den Tod warten zu müssen, war ihm ein Greuel. Das ist ihm erspart geblieben.

*17. Januar 1942 (Leer) – +25. April 2010 (Mainz)

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© 2022 Carlo Werndl RvL & Beate Moeller

 

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