Christian Becher ist gestorben – Nachruf

Christian Becher - Der Spaß war für ihn eine erste Sache
Christian Becher –
Der Spaß war für ihn eine ernste Sache

Der erste Mann der academixer

Im Keller der academixer wurde er „Krischan“ oder einfach „Becher“ genannt. Am Stammtisch hatte er seinen Stammplatz, und der ist mit einem kleinen Messingschild markiert. Drauf steht „Hier bechert der Becher“. Und das war nicht nur ein Scherz unter Freunden. Harald Pfeifer erinnert an ihn.

LEIPZIG (hp) – Er hat in vollen Zügen gelebt und gearbeitet. Und irgendwann, als er schon nicht mehr aus der Wohnung kam, fluchte er über seinen Zustand, sagte aber gleich dazu: Kein Wunder, bei meinem Lebenswandel.“ – Christian Becher ist am 24. Januar 2013 im Alter von 69 Jahren in Leipzig gestorben.

Tatsächlich war Christian Becher der erste Mann bei den academixern. Schon vor der Kabarettgründung durch Jürgen Hart, vor 1966 also, war er beim Studentenkabarett academixer eingestiegen. Sie probten an einem neuen Programm, um dessentwillen die Ideologen der SED am liebsten gleich das ganze Kabarett verbieten wollten. Aber das ging nicht.

Das Verbot des Studentenkabaretts „Rat der Spötter“ 1961 hatte deutschlandweit derartige Wellen geschlagen, dass die Genossen das nun nicht gleich wieder haben wollten. Also ließen sie die jungen Leute Asche auf ihre Häupter – nicht streuen – eimerweise kippen und suchten angestrengt nach einem Studenten, der das Kabarett erhalten sollte. Einer von denen, die da von den Genossen in die Mangel genommen worden waren, hieß Christian Becher. Und der hatte nun von dieser Art Freizeitkultur die Nase gestrichen voll und schwor sich: „Das mache ich nicht noch mal.“ Becher hatte aber die Rechnung nicht mit dem gemacht, der die kabarettistischen Geschäfte weiter führen sollte. Und der war Jürgen Hart. Mit der Gründung 1966 des bekannten Kabaretts wurde Becher das zweite Mal ein academixer.

Eigentlich wollte er Schauspieler werden, aber seine Eltern legten ein Veto ein. Das sind doch die, wegen denen man die Wäsche reinnehmen muss. Und sie fädelten für Sohnemann ein Studium an der Handelshochschule in Leipzig ein. Folgsam hat er das auch absolviert, aber nebenbei Kabarett gespielt oder am Poetischen Theater „Louis Fürnberg“ richtiges Theater gemacht.

Beckett, Dario Fo oder Thornton Wilder. Die Welt des Theaters war die seine. Und so hat er auch Kabarett gespielt. So hat er auch Kabarett betrachtet und beurteilt. Der Spaß war für ihn ohne Frage eine ernste Sache. So hatte er auch seine Figuren für die Bühne angelegt. Sie waren aus dem Geschehen hergeleitet, mit Leib und Seele gespielt, und all zu große Zugeständnisse an das Publikum hat der Leipziger Kabarettist dabei nie gemacht.

Christian Becher war ein Mensch, bei dem das Understatement restlos in Fleisch und Blut übergegangen war. Einmal fragte ich ihn, wie es war, in den großen Zeiten der academixer in Leipzig etwas als Star betrachtet worden zu sein. Da lachte er kurz und sagte: „Da kann ich mich noch an eine schöne Sache erinnern. Da lief ich mal durch die Stadt, und da guckten mich alle an und lächelten mich an. Ich dachte, heu jetzt bist du bekannt und berühmt… Bis ich dann irgendwann feststellte, ich hab den Hosenstall offen.“ Das ist nicht nur eine Erklärung, das war Christian Bechers satirischer Zugriff, mit dem er auch das Spiel der academixer geprägt hat. Oft hat er Regie geführt. Beim Kabarett ebenso wie beim Poetischen Theater.

Einfühlsame Geste von Meigl Hoffmann im Leipziger Central Kabarett am 25. Januar 2013
Einfühlsame Geste von Meigl Hoffmann im Leipziger Central Kabarett am 25. Januar 2013 – Foto © Harald Pfeifer
Gearbeitet hat Becher immer ohne Gnade mit sich. Er hat neben der Kabarettarbeit auch die Kneipe im Keller betrieben, dann hat er die künstlerische Leitung des Kabaretts übernommen. Dazu sagte er: „Der Liebe Gott hat die Welt nicht richtig eingerichtet. 24 Stunden reichen nicht.“ Spät abends gab es dann den Schlaftrunk – ein guter Grappa.

Das Archiv des Kabaretts auf Vordermann zu bringen und zu digitalisieren, war ihm ein besonderes Anliegen. Daran hatte er selbst noch gearbeitet, als die Kraft schon nicht mehr reichte, auf der Bühne zu stehen. Vermutlich hat das Deutsche Kabarettarchiv von kaum einem Kabarett so leicht verwendbare Archivarien bekommen, wie von den academixern. Auch für das Poetische Theater hat er solche Arbeiten verrichtet. Beides war ihm deshalb besonders wichtig, weil das sein Leben war. Keine Eitelkeit. Er dachte an sich im Regelfall zuletzt. Nein, es war die Achtung vor der gemeinsam geleisteten künstlerischen Arbeit. Im Kabarett wie Theater.

Beim 60. Geburtstag war er noch bei vollen Kräften und hatte vor seiner Lieblingskneipe auf der Straße gefeiert. Beim gemeinsamen Abendessen fünf Jahre später nach seinem 65. Geburtstag wollte er bereits nach einer reichlichen Stunde wieder nach Hause gehen. Und nun ein halbes Jahr vor seinem 70. Geburtstag ist er gestorben. Gefehlt hatte er der Szene schon seit Langem, weil er seine Wohnung nicht mehr verlassen konnte. Zu wissen aber, dass er nicht mehr lebt, ist schwer zu verkraften. Dabei wollte er in seinen letzten Jahren sich und sein Dasein genießen. Mal in den Park gehen und wenn ihm so ist, wieder zurück und eine Runde schlafen oder ein Eis essen… Endlich mal privat sein. Und dazu ist es nicht mehr gekommen. Die Lungen waren kaputt vom Rauchen, und er hat alle Zeit mit Behandlungen zugebracht, um weiter leben zu können. Da ist es so schon besser …

Harald Pfeifer © 2013 BonMoT-Berlin

Die Leipziger academixer haben ein online-Kondolenzbuch für Christian Becher eingerichtet.

Foto Porträt Christian Becher: Peter Eichler, als Pressefoto zur Verfügung gestellt auf der Homepage der academixer

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