Tim Fischer singt ein Knef-Konzert

Tim Fischer Knef - Foto © Lutz Müller-Bohlen

Ungeschminkt.
An einem der letzten warmen Tage hat sich Marianne Kolarik zum Interview mit Tim Fischer getroffen

KÖLN (mk) – Wir sitzen auf der Terrasse eines Ausflugslokals in Köln und trinken Apfelschorle. Am Ende des Gesprächs kommt Ronaldo vorbei, der Mann, mit dem Tim Fischer verheiratet ist und der ihn überall hin begleitet, wo der in Berlin lebende Chansonnier Konzerte gibt. Um uns herum wuseln Kinder und Hunde. Keiner der erwachsenen Spaziergänger nimmt Notiz von Fischer – anders als am Ende seiner Auftritte, wo er von Menschentrauben umringt wird und um Autogramme gebeten wird.

Hildegard Knef ist für vieles bekannt – aber kaum für ihren feinen Humor.

TIM FISCHER: Ihre Texte erinnern an Christian Morgenstern. Sie ist anerkannt als Schauspielerin, auch als Sängerin – dass sie neben ein paar bekannten Liedern eine ganze Reihe unglaublicher schöner Songtexte geschrieben hat, wird nicht genug gewürdigt. Deswegen habe ich einen Abend zusammengestellt, bei dem man in den Knefschen Kosmos eintauchen kann. Es ist ein Abend der Lyrikerin, ohne Parodie, ohne Travestie.

Woraus besteht denn der Knef’sche Kosmos?

TIM FISCHER: Es sind die alltäglichen Sorgen, Probleme und Nöte, von denen sie erzählt. Sie erschafft einerseits neue Naturbilder und beschreibt andererseits apokalyptische Szenarien wie in „Die Herren dieser Welt“. Das für mich allerschönste Lied ist das, was sie nach der Geburt ihrer Tochter geschrieben hat „Doch hör nicht auf mich“, in dem sie sich Gedanken darüber macht, was man einem Menschen mit auf den Weg geben kann und zu dem Schluss kommt, dass man keine Ratschläge geben kann. Welche Größe sie da zeigt! Bei alledem hat sie eine ganz eigene, unverwechselbare Handschrift und ihr Geist schwingt durch ihre Texte.

Dabei finden sich auch Texte, die sehr aktuell klingen wie etwa der „Fragebogen“ von 1972.

TIM FISCHER: Ein topaktuelles Thema. Das ist eine ihrer zeitgemäßen Komponenten. Unter den Diven war sie die Ungekünstelte, ein kumpelhafter Typ. Und sie war unheimlich mutig, hat eigene Fehler eingestanden und Unsicherheiten zugegeben, was eine Marlene Dietrich niemals gemacht hätte. Sie hat Schlammschlachten ertragen müssen. Und sie war eine der Ersten, die öffentlich über ihre Krebserkrankung gesprochen und geschrieben hat. Das Tabu existiert heute noch. Über Männer, die Brustkrebs haben, wird bis heute geschwiegen.

Haben Sie die Knef noch selbst kennen gelernt?

TIM FISCHER: Nein, habe ich leider nicht. Sie hat sich einmal für ein Konzert angekündigt, wurde dann krank und hat sich in einem Brief bei mir entschuldigt. Was ich unglaublich rührend fand. Heute sagt man überall zu und kommt dann einfach nicht. Wir leben inzwischen in einer egozentrischen Gesellschaft.

In einem Lied schreibt sie: „nur weise, nein weise werde ich nicht – mein Ziel ist unters Rad gekommen“.

TIM FISCHER: Sie hatte keine Antworten parat, sondern hat Fragen gestellt. Wenn sie nicht weiter wusste, hat sie das geschrieben. Ich habe großen Respekt davor, wenn jemand so ehrlich ist. Wenn sie hingefallen ist, ist sie immer wieder aufgestanden und hat immer wieder neu angefangen.

Sie versuchen nicht, Sie zu imitieren…

TIM FISCHER: Das ist gar nicht nötig. Man spürt den Geist und muss gar nicht viel dazu tun. Sie hat es verstanden, einen schillernden, doppelten Boden in ihre Lieder einzuziehen. Es ist unglaublich, welche Emotionen diese Texte auslösen.

Als Sie 24 Lenze jung waren, haben Sie gesagt, dass Sie reifer würden und hinzugefügt, dass das vielleicht lächerlich klinge und das Eindrucksvollste am Leben sei der Tod. Wie steht es heute damit?

TIM FISCHER: Reifen geht permanent vor sich. Irgendwann ist man überreif. Dann fällt man vom Baum. Was den Tod angeht: Der ist mit Verdrängungen und Ängsten behaftet und von daher bekommt er einen speziellen Stellenwert. Deswegen ist es so wichtig, sich mit ihm auseinander zu setzen und zu wissen, dass das Leben endlich ist. Was einen dazu bringt, intensiv zu leben.

Die eigene Endlichkeit schwingt auch in vielen Knef-Texten mit…

TIM FISCHER: Sie war auch eine Intellektuelle. In einem ihrer Lieder nimmt sie dem Tod seine Dramatik. Schauen Sie mal dort: der Rosenverkäufer da (zu diesem gewandt) Was kostet denn eine Rose? (er kauft ihm eine ab und schenkt sie mir).

Sie singen an dem Abend auch „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ – eines ihrer bekanntesten Lieder.

TIM FISCHER: Die Knef hat gesagt, sie habe es in einem Anfall von Größenwahn geschrieben: Ihr sollten nur die guten Dinge im Leben begegnen. Da bleibt die große Frage, warum ein Lied ein Hit wird, obwohl andere wesentlich gehaltvoller sind.

Zum Beispiel der Song über die Schnecke…

TIM FISCHER: Der ist so süß. Sie hat sich ja auch mit Tieren beschäftigt, dem Schwertfisch oder dem Maulwurf – fabelhafte Lieder, die alle eine Aussage haben und den Menschen etwas sagen.

Sie haben früher betont, dass Sie sich nicht vorstellen können, sich jemals an einen Menschen zu binden – inzwischen sind Sie verheiratet.

TIM FISCHER: Auf die Liebe hat man glücklicherweise kaum einen Einfluss, sie erwischt einen eiskalt oder heiß – das weiß man nicht so richtig.

Für Kreisler haben sie die „Fackel der kultivierten Boshaftigkeit“ am Leuchten gehalten. Wie sieht die bei der Knef aus?

TIM FISCHER: Die Fackel der Liebe.

Und das Leid?

TIM FISCHER: Das gehört ja dazu. Sie hatte einen fast analytischen Blick, ihre Lieder laufen wie ein Film vor dem geistigen Auge ab, man sieht die Szenen komplett vor sich.

In Kombination mit der Poesie und dem Witz…

TIM FISCHER: Jeder Zuhörer kann seine eigene Phantasie mobilisieren, seine eigenen Erfahrungen und Vorstellungen rein interpretieren. Das ist das Schöne dieser Art von Kunst. Die Knef spricht immer von „wir“, nicht von „ich“. Sie klammert sich nicht aus, sondern sie sieht sich als Teil der Gesellschaft.

Als Schauspielerin musste sie sich schließlich auch in andere hineinversetzen – müssen Sie das nicht auch tun?

TIM FISCHER: Was die Knef angeht: da stellt man sich den Emotionen, man entblößt sich eher, als dass man spielt.

Die 89jährige Theaterbesitzerin Alexandra Kassen kommt zufällig vorbei und begrüßt Tim Fischer: „Du siehst ja wie ein Gymnasiast aus, so jung“, sagt sie zum ihm. „Ich hätte Dich beinahe nicht erkannt“.

TIM FISCHER: Das ist ja süß – ich bin nicht mal geschminkt.

Das Gespräch führte Marianne Kolarik © 2011 BonMoT-Berlin

Tim Fischer singt ein Knef-Konzert:
Di, 15.11. – So, 20.11.2011: Berlin, Tipi am Kanzleramt
Di – Sa 20 Uhr, So 19 Uhr, Tickets: 20,80 € – 39,50 €
Karten-Telefon: 030.39 06 65 50

VIDEO

http://videos.www3.arte.tv/de/videos/musik_tim_fischer_singt_hildegard_knef-3595232.html

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