Philip Simon: Ende der Schonzeit – Kritik

Philip Simon - Foto PRVerrückt wie ein Märzhase

BERLIN (gc) – Die Zwangsjacke hängt drohend vom Schnürboden herab, als Philip Simon in den ausverkauften Wühlmäusen sein zweites Programm „Ende der Schonzeit“ spielt. Hineinschlüpfen wird er nicht, denn das „Brisseln im Kopf“ macht ihn schon verrückt genug. Dieses „Brisseln“ bekommt er, wenn er sich mit dem Unfug auseinandersetzt, der uns alle Tag für Tag umspült.

Sein Credo: „Der Wulff ist weg, und der kommt auch nicht wieder“. Diese Bundespräsidenten-Charge, die es schaffte, „Außenminister Westerwelle wieder sympathisch erscheinen zu lassen“ dominiert den ersten Teil seiner Show.

Bei Philip Simon wurde „Gedächtnis-Tourette“ diagnostiziert. Jetzt ist er glücklich, weil er das Denken einstellen kann und damit den höchsten Grad der Freiheit erreicht hat. Schließlich wird „das Leben einfacher, wenn die Umwelt glaubt, Du bist bekloppt.“ Die Vorliebe des Niederländers, der in Berlin und auf der Nordseeinsel Texel lebt, gilt den Verrückten. Ohne die Verrückten wüssten die anderen ja gar nicht, dass sie normal sind!

Der erste Teil von „Ende der Schonzeit“ ist gut getimtes und unterhaltendes Stand-up. Tagesaktualität und griffige Sprüche sind dabei Simons Stärke: ob er von der „SPD mit ihren drei Kampfrobben Nahles, Gabriel und Steinmeier“ oder vom Begriff Zwickauer Terrorzelle erzählt, der genau wie die Rügenwalder Teewurst nach „nichts Halbem und nichts Ganzem klingt“.

Seine Message kommt 1:1 beim Zuschauer an, wenn er die bisherige Beliebigkeit bei Bundespräsident Gauck kritisiert und die Scheinheiligkeit der BILD-Zeitung in der Causa Wulff anprangert. Oder wenn er von Fernsehsendungen für den einfach gestrickten Zeitgenossen berichtet, die nur gemacht werden, „um den Menschen zu zeigen, was sie alles haben könnten, wenn sie sich ein wenig anstrengten.“ Sicherlich nicht falsch, diese Meinung. Doch zu hören bekommt man sie bereits, wenn man sich mit interessierten, künftigen Abiturienten über die Medienlandschaft unterhält.

Persönlicher wird Philip Simon im zweiten Teil, wenn er von seinen Erlebnissen in sozialen Netzwerken oder beim Reisen berichtet. Egal, ob in der Bahn oder im Flugzeug: Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Und er hat gute Ideen, wie man sich mit etwas Mut zwar das Prädikat „bekloppt“ erwerben, als Ausgleich dafür aber ungestört reisen kann.

Wenig erhellend dagegen die Passagen über Glaubensrichtungen und Glauben. Alle Formen kann er respektieren, aber mit der professionellen Interpretation hat er Probleme. Und die Tatsache, dass alle drei großen monotheistischen Weltreligionen den friedlichen Umgang miteinander auf ihre Fahnen geschrieben haben, ist zwar richtig. Warum es in der Welt trotzdem nicht richtig friedlich zugeht, weiß Simon aber nicht zu erläutern.

Manches liegt dagegen neben der Spur, zum Beispiel die Nummer mit den fünf Tackern. Die packt er auf den Tisch, lädt einen davon, stellt sich dann mit dem Rücken zum Publikum und bringt die Geräte in eine neue Ordnung. Genau wie beim Hütchenspiel. Jetzt darf eine Zuschauerin entscheiden, welcher der geladene Tacker ist. Die vier als ungeladen benannten Geräte hält er sich eines nach dem anderen ans rechte Auge – und drückt ab! Selbstverständlich geht alles gut aus, und die Moral von der Geschichte ist: „Gehen Sie wählen! Entscheidungen haben Konsequenzen!“ Das ist drastisch und merkwürdig zugleich.

Oder die Zugabe, in der Simon die traurige Geschichte erzählt, wie ihm sein Vater auf dem Totenbett einen Kartentrick erklärt hat. Will er sich da als großer Schauspieler empfehlen, der die gesamte Klaviatur der Gefühle beherrscht? Schade, dass der Zuschauer nicht mit einem angenehmeren Gefühl aus dem Abend entlassen wird.

Gilles Chevalier © 2012 BonMot-Berlin

Auswahl der kommenden Termine:
So, 29. April 2012: Bonn, Pantheon
Mo, 7. Mai 2012: Mainz, unterhaus
Do, 31. Mai 2012: Hamburg, Polittbüro

 

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Alle weiteren Infos:
www.philipsimon.com

4 Gedanken zu “Philip Simon: Ende der Schonzeit – Kritik

  1. Gerd Küppers 26. April 2018 / 09:07

    Zum Auftritt „Meisenhorst“ in Troisdorf im April 2018
    Man nehme einen durchsichtigen Plastikstreifen, schreibe in einer vorher bestimmten Reihenfolge ein paar Artikel-Nummern des Grundgesetzes darauf und kommentiere den jeweils notierten Grundgesetzartikel. Am Ende der Veranstaltung wende man den Streifen und siehe da, das Publikum liest den Namen der Veranstaltung „Meisenhorst“….
    Simon prangert mit dieser Sprachschöpfung die verrückten Vorstellungen an, die sich in unseren Köpfen festgesetzt haben und unser Handeln mitbestimmen. Er möchte uns den Kopf zurecht rücken. Wichtige Orientierungshilfen auf dem rechten Wege liefern ihm die Väter des Grundgesetzes, Moses mit seinen zehn Gebote und die Philosophen verschiedenster Denkrichtungen von Aristoteles bis Precht.
    Im Stakkato überschüttet Simon die Zuhörer mit seinen Betrachtungen. Er redet und redet, fragt nie, ob ihn jemand versteht, es scheint, als berausche er sich an seinen eigenen Worten. So schwebt er uns geistig davon, mit mahnend erhobenem Zeigefinger. Seine Lieblingswendungen heißen: „Wir müssen, wir sollen.“Der eingangs erwähnte Gag ist symptomatisch für den ganzen Vortrag: Ein Kratzen an der Oberfläche. mit viel Effekthascherei. Mal abgesehen von seinem Hinweis auf die Rolle der Basis Ramstein hat er an harten Fakten kaum etwas zu bieten. Ich wünsche ihm den Mut eines Georg Schramm oder eines Voker Pispers. Und die Gelassenheit eines Hagen Raether.
    Talent hat Simon genug.
    Gerd Küppers

  2. Andrea 30. März 2012 / 01:49

    Dem Schlußsatz kann ich so nicht zustimmen. Gerade der letzte Teil hat mich mit einem guten Gefühl entlassen. „Gut“ muss nicht zwangsläufig „lachend“ sein. Ich muss nicht schenkelklopfend die letzten Minuten eines guten Programms verbringen als Zuschauer. Und ich hatte auch nicht das Gefühl, da möchte sich jemand als Schauspieler profilieren. Das hat dieser Künstler gar nicht nötig, der sowieso bereits insgesamt sehr wohltuend mit vielen Facetten überrascht. Im Gegenteil – ich war angenehm berührt, einmal ANDERS in die Nacht entlassen zu werden, als mit einer „jetzt bin ich noch mal ganz doll lustig“-Zugabe. Bitte nichts ändern, Philip Simon! Der Schluss ist wunderbar. (aber das ist ja immer eine Sache der Empfindung).

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