Mit Stock und morbidem Reim rockt die Knef das Altersheim

2020-01-30 Knef - Barrierefrei - 01 Foto © Carlo Werndl von Lehenstein

Mit ihrem neuen Programm „Barrierefrei“ zelebriert Ulrich Michael Heissig alias Irmgard Knef die Last und Lust des Alterns

von Axel Schock

BERLIN – Für einen fortgeschrittenen Geburtstag fällt die Deko etwas spärlich aus. Zwischen zwei Luftballons schweben da noch, silbrig glänzend, eine aufblasbare 9 und 5. So glamourös stellt man sich dann wohl die Feierlichkeiten im Tagungsraum eines Altersheims vor. Nun ja, genaugenommen feiert Irmgard Knef ihr halbrundes Jubiläum in der Berliner Bar jeder Vernunft und zudem auch ein wenig verfrüht. Denn erst im kommenden Dezember vor 95 Jahren hat sie, so will es die Legende, mit Zwillingsschwester Hildegard in Ulm das Licht der Welt erblickt. Und während die große Schwester Weltkarriere machte, mühte sich Irmgard ihrerseits, wenn auch weniger erfolgreich, ebenfalls um Ruhm und Karriere. Seit nunmehr 20 Jahren und– je nach Zählung – in mittlerweile sieben bzw. acht Programmen und diversen Specials – spinnt ihr Schöpfer und Darsteller Ulrich Michael Heissig diese Existenz im Schatten Hildes weiter.

2020-01-30 Knef - Barrierefrei - 04 Foto © Carlo Werndl von Lehenstein

Doch Irmgard ist nicht nur Zeitzeugin einer gelegentlich alternativen Berlin-Geschichte, vor allem aber ist das für sie kein Mittel zum Zweck für sentimentale Nostalgieanwandlungen. In „Barrierefrei“ wird Irmgard Opfer der Gentrifizierung wie auch ihrer nachgiebigen Hüften und so zieht sie nach einem Sturz als nunmehr „gefallenes Mädchen“ nach über 70 Jahren notgedrungen in eine Charlottenburger Seniorenresidenz. „Zum ersten Mal eigenes Personal!“, frohlockt Irmgard, und seien es auch nur Krankenpfleger und Kantinenköche. Als Dauergast im „Hotel Inkontinental“ weiß Irmgard nicht nur von geriatrischem Schabernack mit Hämorrhoidensalbe und Haftcreme zu erzählen, sondern macht auch Bekanntschaft mit Krankenpfleger Kevin, der nicht so recht zwischen Fontane und Lafontaine zu unterscheiden weiß und mit einer auf greise Kundschaft spezialisierten slawischen Sexarbeiterin, der „Nitritt von Moabit“.

2020-01-30 Knef - Barrierefrei - 03c Foto © Carlo Werndl von Lehenstein

Mag Irmgard auch mit einem Gehstock die Bühne entern, sie ist mit (fast) 95 noch ganz schön helle, schlagfertig, in Maßen schamlos und Up-to-date. Ulrich Michael Heissig legt der rotzig-rüstigen Dame einen wohlformulierten und mit tagesaktuellen Details und Anspielungen zum Zeitgeist gespickten Monolog in den Mund. Mit einer unermüdlichen und sprachverliebten Lust am Wortspiel führt er Wortfamilien und -assoziationen zu höchst sinnigen wie versponnenen Pointen. Über zwei Stunden halten Heissig und Irmgard im Alleingang das Publikum bei der Stange und bei bester Laune. Das ist nicht nur darstellerisch eine immense Leistung, es ist vor allem für Irmgard-Knef-Kenner eine freudige Überraschung, welche immer wieder neuen Facetten Ulrich Michael Heissig als Autor und Darsteller seinem Kunstgeschöpf abzugewinnen vermag.

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Die jazzig angehauchten, höchst professionell und stilistisch vielseitig eingespielte Musik kommt, wie in den meisten anderen Programmen, auch hier vom Band. Die Songexte hat Heissig wie stets mit viel kabarettistischem Witz und einem Faible für originelle Endreime ganz auf Irmgard zugeschnitten. Da wird aus Hildes „Im 80. Stockwerk“ ein Lied über das immobile Leben im Erdgeschoss, die unverwüstlichen „Roten Rosen“ sind bei Irmgard schlichtweg ausverkauft und in der Neufassung vom „Heimweh nach dem Kurfürstendamm“ schildert sie den trost- und gesichtslosen Zustand der einstigen Flaniermeile. Doch längst haben auch Songs jenseits des Knef-Repertoires in die Programme Einzug gehalten. So hat Rainer Bielfeldt mit „Barrierefrei“ den Titelsong der neuen Show vertont und wo Friedel Hensch und die Cypris einst auf die amourösen Folgen von Alkohol mit dem Stoßseufzer „Ach Egon, Egon, Egon“ reagierten, schmachtet Irmgard heute zur gleichen Melodie und mit neuem Text ihren „lieben guten Pfleger“ an. Mag Irmgard vor allem in ihren Chansons, ganz wie ihre große Schwester, dann doch eher nachdenklich-melancholische Töne anschlagen und zuletzt auf eine Gehhilfe gestützt von der Bühne schlurfen: diese großartige Kreuzberger Alternative zu Hildegard ist alles andere als altersmüde und ausgebrannt – und „Barrierefrei“ wird hoffentlich nicht das Letzte sein, was wir von ihr hören und sehen werden. Oder um mit Lotti Huber zu sprechen: In dieser Zitrone steckt noch viel Saft.

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Fotos: Ritter von Lehenstein

Bar jeder Vernunft, bis 9. Februar und am 20.4.
Tourstationen u.a.:
Academixer Leipzig, 13.2.
Thalhaus Wiesbaden, 14.2.
Tufa Trier, 15.2.
Kleistforum Frankfurr/Oder 19.2.
UHU Hannover, 6.3.
Volkshaus Meiningen, 7.3.
Theaterschiff Hamburg, 22.3.
Kom(m)ödchen Düsseldorf, 26.3.
Familie Malentes Theater Palast Bonn, 30.4.-10.5.
ruhrfestspiele Recklinghausen (Festivalzelt), 18.5.
Alte Fabrik Mühlhofen, 25.9.
La Capella Berlin, 15.10.
HP: (weitere Termine) Irmgard Knef

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