Vernügungstempel und Lasterhöhle

Das Berliner Wintergarten Varieté spannt mit der neuen Show „20 20“ den Bogen von den alten zu den neuen zwanziger Jahren

von Axel Schock

BERLIN – Wie bekommt man Tiefsinn und Ernsthaftigkeit in eine Show, die ihrem vergnügungswilligen Publikum ja vor allem einen bunten Reigen artistischer Highlights und flirrendes Entertainment bieten möchte? Markus Pabst, der zusammen mit Pierre Caesar, für die neue Produktion im Berliner Wintergarten Varieté verantwortlich zeichnet, behilft sich mit Zitaten von Erich Kästner bis Kurt Tucholsky. Besser als jene warnenden, klaren Zeitanalysen und Bonmots könnte es auch ein gegenwärtiger Autor wohl kaum formulieren. Doch so uninspiriert und lehrmeisterlich, wie Pabst als Conférencier diese Texte auf der Bühne aus einem Notizbuch vorliest, bleibt das doch recht aufgesetzt.

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Mit Stock und morbidem Reim rockt die Knef das Altersheim

2020-01-30 Knef - Barrierefrei - 01 Foto © Carlo Werndl von Lehenstein

Mit ihrem neuen Programm „Barrierefrei“ zelebriert Ulrich Michael Heissig alias Irmgard Knef die Last und Lust des Alterns

von Axel Schock

BERLIN – Für einen fortgeschrittenen Geburtstag fällt die Deko etwas spärlich aus. Zwischen zwei Luftballons schweben da noch, silbrig glänzend, eine aufblasbare 9 und 5. So glamourös stellt man sich dann wohl die Feierlichkeiten im Tagungsraum eines Altersheims vor. Nun ja, genaugenommen feiert Irmgard Knef ihr halbrundes Jubiläum in der Berliner Bar jeder Vernunft und zudem auch ein wenig verfrüht. Denn erst im kommenden Dezember vor 95 Jahren hat sie, so will es die Legende, mit Zwillingsschwester Hildegard in Ulm das Licht der Welt erblickt. Und während die große Schwester Weltkarriere machte, mühte sich Irmgard ihrerseits, wenn auch weniger erfolgreich, ebenfalls um Ruhm und Karriere. Seit nunmehr 20 Jahren und– je nach Zählung – in mittlerweile sieben bzw. acht Programmen und diversen Specials – spinnt ihr Schöpfer und Darsteller Ulrich Michael Heissig diese Existenz im Schatten Hildes weiter.

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Kleine Häppchen vom großen Mythos

Die Revue „Berlin Berlin“ versucht sich am verruchten und vibrierenden Entertainment der „Goldenden 20er Jahre“

von Axel Schock

BERLIN – Wer auch immer sich den Begriff der „Goldenen Zwanziger Jahre“ einst ausgedacht hat, er oder sie war ein genialer Marketingstratege. Denn „golden“ war dieses Jahrzehnt lediglich für die Happy Few, die nicht als Arbeitslose oder verarmt ums Überleben kämpften oder menschenunwürdig in Mietskasernen mehr vegetierten, denn lebten. Die lichterglänzenden Etablissements am Tauentzien, am Potsdamer Platz oder am luxuriösen Ende der Friedrichstraße konnten sich die Durchschnittsberliner kaum leisten. Der Glamour dieser Tage aber ist längst zum märchenhaften Mythos geronnen, der nun, ein Jahrhundert später, einmal mehr fasziniert und inspiriert. Volker Kutschers Romanreihe und die Netflix-Verfilmung unter dem Titel „Babylon Berlin“ haben den sich wandelnden Geist und die widersprüchliche Gesellschaft zwischen Rausch und Verderben eindringlich erfasst und damit einen neuerlichen Hype ausgelöst.

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Jazzige Pop-Chansons aus der Schweiz

Michael von der Heides neues Album „Rio Amden Amsterdam“

von Axel Schock

BERLIN – Was ist dem deutschen Publikum da in den vergangenen zwei Jahrzehnten alles schon entgangen! Aber für manchen Künstler scheinen die Alpen nur schwer zu überwinden zu sein. Wobei man Michael von der Heide wahrlich nicht vorhalten kann, er habe sich zu wenig bemüht. Zwischenzeitlich schien es nur eine Frage der Zeit, bis auch ihm hierzulande die Menschen zu Füßen liegen.

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Bowie forever: Ein expressiv-exzentrisches Denkmal

Sven Ratzkes Deutschland-Premiere »Where Are We Now« in der Bar jeder Vernunft

von Axel Schock

BERLIN – Er kommt nicht von ihm los. 2015 hatte sich Sven Ratzke mit „Starman“ schon einmal mit den unendlichen Weiten von David Bowies Universum beschäftigt. Mit Zustimmung des Meisters himself hatte sich der Deutsch-Niederländer vor allem die Glamrock-Songs der Siebziger herausgegriffen und sie mit seinen irrlichternden, surrealen Geschichten kombiniert. Mit der zu Recht gefeierten Show hat Ratzke die halbe Welt bereist, und wahrscheinlich könnten er und seine Band damit auch noch heute touren.

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Hymnen für Träumer – nach 10 Jahren wieder eine CD von Rainer Bielfeldt

Rainer Bielfeldts neues Soloalbum „Die Erinnerung von Morgen“
von Axel Schock

BERLIN – Die Fans von müssen wahrlich Geduld haben. Ein Jahrzehnt haben sie auf ein neues Album des Komponisten, Songwriters und Pianisten warten müssen. Auch als 2003 „Alles nur ein Traum“ erschein, kam dies fast einem Comeback gleich. Acht Jahre und acht Programme lang war er zuvor als Bühnenpartner mit Gayle Tufts erfolgreich durch die Lande getourt. Doch erst als dieses Kapitel beendet war, fand er wieder die Zeit, um sich wieder der eigenen Chansonnierkarriere widmen und einfach nur „Sänger sein“ zu können (um einen seiner Albumtitel zu zitieren). Weiterlesen

Faust im Lavendelbad – Premierenkritik Sven Ratzke

Foto © Barbara Braun_MuTphotoIn seiner neuen Show „Homme Fatale“ unternimmt Sven Ratzke einen musikalischen Roundtrip

von Axel Schock

BERLIN – Sven Ratzke hat ganz offenbar zu heiß gebadet. Oder der vermeintliche Lavendelextrakt enthielt noch ganz andere Ingredienzen und hat ihm ordentlich die Sinne vernebelt. Für Menschen, die auch auf Bühnenbrettern ein Mindestmaß an Rationalität abfordern, wäre dies wohl die einzige Erklärung, um dem deutsch-niederländischen Entertainer auf seinem Trip folgen zu können.
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Der Mond leuchtet über Berlin: „Frau Luna“ – nostalgische Erscheinung

2016-06-16 Frau Luna im Tipi - Cora Frost Venus - Foto © Carlo Werndl v. L.Die „Frau Luna“-Produktion mit einer Kleinkunst-All-Star-Besetzung im Berliner Tipi wirft erste Schatten voraus

von Axel Schock

BERLIN – Das Ganze hat durchaus etwas Größenwahnsinniges. Fans des Kabaretts in all seinen Schattierungen leuchten die Augen angesichts dieses Casts: Auf dem Besetzungszettel finden sich die Geschwister Pfister, Thomas Pigor und Benedikt Eichhorn, Cora Frost und Gerd Thumser, Ades Zabel, Fausto Israel und Max Gertsch, Gustav Peter Wöhler, Sharon Brauner und Annamateur. Wer wagt, ein solches Unternehmen überhaupt auf die Beine zu stellen, muss wahnsinnig – und leidenschaftlich sein.
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Malediva in der Midlife-Crisis – Premierenkritik

Malediva Barhocker - Foto © Robert ReckerUraufführung des neuen Programms „Barhocker“ im Berliner Tipi

von Axel Schock

BERLIN – Das muss man als Fan erst einmal verkraften. Nach einem guten Dutzend Programmen fühlte man sich bereits als Teil der Wahlfamilie und verfolgte den offenen Beziehungsschlagabtausch und die liebenswürdigen Sticheleien von Tetta Müller und Lo Malinke höchst amüsiert. Und dann das.

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Songs von Betancor, Heller, Humpe bis Reiser – CD-Besprechung

Gustav Peter Wöhlers erstes Studioalbum „Wegen mir“

von Axel Schock

Gustav Peter Wöhler Wegen mir CD CoverLange war Gustav Peter Wöhler in erster Linie der zu Recht viel beschäftigte Bühnen- und Filmschauspieler. Bis zu diesem Abend im Schauspielhaus Hamburg mit Songs aus dem „Abbey Road“-Album der Beatles. Der begnadete Charakterdarsteller entdeckte sich neu als Sänger und kam auf den Geschmack.

20 Jahre ist das nun bereits her und mittlerweile scheint es fast so, als könnte der Sänger Wöhler dem Schauspieler Wöhler in Sachen Popularität den Rang ablaufen. Weiterlesen

Eine Transgender-Trümmerfrau räumt auf – Premierenkritik Sven Ratzke

Sven Ratzke im Berliner Admiralspalast mit „Hedwig and the Angry Inch“

von Axel Schock

HEDWIG_MG_6373_RGB 300BERLIN (as) – Nun also wird auch der Keller zur Kulturstätte. Die einstigen Kegelbahnen des weitläufigen Berliner Admiralspalastes, der neben dem großen Saal bereits mehrere kleinkunsttaugliche Bühnen bietet, sind nun zum „Klub“ mit angeschlossener Absinth-Bar umgestaltet. Die Möblierung gleicht einem Polstermöbel-Restpostenverkauf, und nicht nur die Rückwand der Spielfläche ist zugestellt mit Hirschgeweih-verzierten Wohnzimmerschrankwänden. Ein campes Grauen in Pressspan und rustikalem Dekor.
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Muttis Kinder: „Zeit zum Träumen“ – Premierenkritik

Intelligente Balance zwischen Tief- und Blödsinn

von Axel Schock

Muttis Kinder - 150x150 - Foto © Alexander WeissBERLIN – Schauspielschulen dienen offenkundig nicht nur dazu, den Bühnennachwuchs auf seinen Beruf vorzubereiten, sondern auch dazu neue Familienbande zu knüpfen. Am Konservatorium Bern fanden sich einst die lediglich wahl- und nicht blutsverwandten Geschwister Pfister zusammen, an der Hochschule für Musik und am Volkstheater Rostock wiederum haben Marcus Melzwig, Claudia Graue und Christopher Nell entdeckt, Weiterlesen

„Von Kopf bis Fuß – Eine Hommage an Marlene Dietrich“ – CD-Besprechung

Marlene_Dietrich_WDR_CoverWDR Rundfunkorchester Köln featuring
Pe Werner, Tim Fischer und Götz Alsmann

von Axel Schock

BERLIN – Sind es nicht Charisma, Stimme und Bühnenpräsenz, die den Ruhm und Nachruhm der großen Diseusen und Chansonniers erst ermöglicht und schließlich zementiert haben? Oder: Wie wichtig oder nebensächlich ist für die Ikonenbildung eigentlich das Gesangsrepertoire?
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Willkommen in der Weihnachtshölle – Premierenkritik Malediva

Malediva Tahiti 01 – Foto © Jan WirdeierMalediva erleben „Schnee auf Tahiti“

BERLIN (as) – Für die einen ist’s das Fest der Liebe, für eine wachsende Zahl anderer Mitmenschen eine nicht enden wollende Tortur, die im Oktober mit den ersten Dominosteinen im Supermarktregal beginnt und erst mit Silvester wieder endet.

Leidtragende des Weihnachtstrubels finden bereits seit einigen Jahren Trost, Zuspruch und Verständnis im „Lebkuchen“-Programm von Malediva. Der Besuch in der Bar jeder Vernunft ist für Gleichgesinnte längst zu einem der Christmette ebenbürtigen Ritual geworden. Weiterlesen

Tatort tipi – ein Fall aus dem Chansonmilieu – Premierenkritik

Adam Benzwi & Andrea Sawatzki - 2012 TIPI AM KANZLERAMT - Foto: © Jan WirdeierAndrea Sawatzki und Adam Benzwi: „Irgendwas ist immer, mal zum Lachen, mal zum Weinen“

BERLIN (as) – Die Pressefotografen haben gut zu tun. Zu Dutzenden haben sich Andrea Sawatzkis Schauspielkollegen ins Tipi am Kanzleramt aufgemacht, um bei deren Neuerfindung bzw. Wiedererstehung als Sängerin mit dabei zu sein.

28 Jahre sei es her, lässt sie uns wissen, dass sie zuletzt singend auf der Bühne stand: mit einem Liederabend der Debütanten der Landesbühne Wilhelmshaven. „Schweinische Lieder“, nannte man das Programm mit Songs von Brecht bis Kreisler, geleitet wurde die Produktion seinerzeit von Rainer Bielfeldt.
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